Unser Protest am 02.11.2005


Rede vor StVV Potsdam / 02.11.05 (Bernd Martin, VGS-Vorstandsmitglied Potsdam

Sehr geehrte Frau Präsidentin, werte Damen und Herren Abgeordnete;
zuerst möchte ich mich dafür bedanken, dass wir als Kreisvorstand des Verbandes der Garten- und Siedlerfreunde Potsdam hier und heute die Möglichkeit haben, vor Ihnen zu sprechen.
Zum kurzen Kennenlernen:
Mein Name ist Bernd Martin. Ich bin Kleingärtner in der Sparte „Oberförsterwiese“ in Potsdam und ehrenamtlich Mitglied des Kreisvorstandes – und dort für die Öffentlichkeitsarbeit zuständig. Mit mir sind die Vorsitzenden zweier Kleingartensparten der Stadt hier im Saale. Das ist Horst Mord von der Sparte „Höhenstraße“ sowie Marion Vogel von der Sparte „Selbsthilfe 1917“ am Babelsberger Horstweg. Beide Sparten sind von Überplanungsabsichten der Stadt betroffen.
Sehr geehrte Damen und Herren,
Sie haben zwar heute „nur“ über das Überleben der „Selbsthilfe“ zu entscheiden. Wir vom VGS-Kreisvorstand wollen aber diese Gelegenheit nutzen, Sie auf die Gesamtsituation im Kleingartenwesen der Stadt hinzuweisen. Denn es tut nach unserer Meinung wieder einmal dringlichst Not!!! Auf unseren Handzetteln konnten Sie es lesen:

Es geht nicht nur um die Kleingärten in der „Selbsthilfe“ und der „Höhenstraße“ deren Parzellen laut irgendwelcher Bebauungspläne weg sollen. Es geht mittlerweile um ganze 300 Kleingärten im Stadtgebiet, die solchen Plänen zum Opfer fallen sollen.
Dagegen wollen wir hier und heute unseren dringlichsten Protest anmelden! Und wir fordern nicht mehr und nicht weniger als die Durchsetzung der Kleingartenentwicklungskonzeption, die schließlich in diesem Hause Mitte der 90er Jahre beschlossen wurde.
Liebe Abgeordnete, wir sind der festen Meinung, dass unsere Stadt auch weiter als eine GRÜNE Stadt bestehen bleiben soll. Ich erinnere an die Laudatio zur Auszeichnung im Rahmen des Wettbewerbs „Entente Florale“. Dort haben Sie, Herr Oberbürgermeister Jacobs; und Sie, werte Frau Beigeordnete von Kuik-Frenz, sehr lobende und würdigende Worte in Sachen Verschönerung der Stadt entgegen nehmen können. Doch in die positive Bewertung unserer Stadt waren auf jeden Fall auch die Kleingärten mit einbezogen. Denn sie gehören unabdingbar zum Stadtgrün Potsdams.
AUCH die Kleingärten geben unserer Stadt das besondere Flair einer Großstadt mit sehr viel Grün. Das ist gesund und gut! Und es ist nach unserer Meinung zumindest sehr bedenklich, wenn solches gewachsenes Stadtgrün überbaut werden soll.
Werte Frau Stadtpräsidentin und Abgeordnete,
wir Kleingärtner sind auch in erster Linie Bürger unserer Stadt. Das meint, dass wir uns nicht stur und prinzipiell gegen jegliche Überplanung unserer Kleingärten sperren. Das ist übrigens in der von mir genannten Kleingartenentwicklungskonzeption verankert. Und dieses Bürgerbewusstsein haben wir auch schon in den vergangenen Jahren mehrfach unter Beweis gestellt. Doch ist es für uns ganz einfach unerträglich, wenn wir unsere Gärten freimachen für angeblich ganz dringend notwendige Gewerbeansiedlungen oder sogar Wohnungsbau.
Und wenn wir dann auf unseren ehemaligen grünen Oasen auch noch nach Jahren NUR Müllhalden oder Baulagerplätze vorfinden. Das kann doch nicht im Sinne des Erfinders sein! Sie können dazu etwas in der Begründung des heute zum Beschluss anstehenden Antrags lesen. Und ich könnte Ihnen hier noch andere Beispiele aus der Stadt anführen. Doch das würde wahrscheinlich den Rahmen dieser kurzen Rede sprengen.
Im Kleingartenentwicklungskonzept steht weiter, dass die Mitte der 90er Jahre anstehende Parzellenzahl „auch künftig beibehalten werden solle“. Die Stadt würde dazu GEMEINSAM mit uns – dem VGS – so genannte „Umsetzungskonzepte“ erarbeiten. Und die Stadt würde in diesem Zusammenhang standortnahe Ersatzflächen bereit stellen. Das steht im Konzept.
Doch wie sieht die Wirklichkeit aus? 300 Kleingärten sind von irgendwelchen B-Plänen derzeit oder in naher Zukunft von städtischer Überplanung betroffen. Davon werden – um der Richtigkeit willen – durch unseren VGS 56 Parzellen „freiwillig“ geräumt. Denn wir wissen, dass es in diesen Fällen u.a. um die Wiederherstellung alter Potsdamer Kulturlandschaft geht. Das betrifft die Rosa-Luxemburg-Straße in Babelsberg-Nord sowie den Jungfernsee. Aber auch für den Wohnungsbau räumen wir in der Berliner Straße Teile einer Kleingartenanlage. Für diese 56 und für die weiteren 244 – zusammen also 300 (!) betroffenen Parzellen gibt es jedoch nach unserem Informationsstand bis dato KEINE standortnahen Ersatzflächen für die Kleingärtner.
Von der Stadt wird in diesem Zusammenhang immer wieder eine Fläche am Marquardter Damm angeführt. Das wären rund 90 neue Kleingärten. 90 – keine 300! Diese Flächen sind aber für Babelsberger Kleingärtner nun wahrlich und bei bestem Willen nicht standortnah. Die Babelsberger betrachten das fast wie eine Art „Verbannung an den Rand der Stadt“ – und dazu noch an den von ihnen am weitesten entfernten Rand. Das ist in unseren Augen ganz einfach nicht durchdacht. Und es entspricht auch nicht – wie gesagt – der Kleingartenentwicklungskonzeption! Also: Wenn schon überplant wird – aus welchen Gründen auch immer – dann soll und muss auch diese Entwicklungskonzeption in Geist und Buchstaben durchgesetzt werden. Das ist unsere Forderung.
Und zweitens sollten Sie, werte Abgeordnete, dringlichst überdenken, ob es wirklich im Sinne des Erfinders und unserer Stadt ist, wenn gewachsenes Stadtgrün mit Hotel-, Gewerbe und Wohnungsbau überplant werden soll. Wir denken, DAS sollte sich Potsdam nicht leisten! Und schließlich bitten wir Sie, sich auch die gewachsenen Traditionen noch einmal vor Augen zu führen. Gestatten Sie mir deshalb zum Schluss noch ein paar ganz persönliche Anmerkungen. Ich war in der vergangenen Woche auf der Vollversammlung der Sparte „Selbsthilfe 1917“ am Horstweg. Die Vorsitzende Marion Vogel und viele langjährige Kleingärtner – manche schon in Familientradition seit Generationen auf ihrer Parzelle – brachten ihre ohnmächtige Wut über eine mögliche negative Entscheidung der Stadt für ihre Scholle zum Ausdruck. Ganz vorn saß in gebeugter Haltung ein Mann, der in Potsdam – vor allem aber in Babelsberg – allerseits bekannt ist. Es ist die Babelsberger Fußball-Legende „Schupo“ Tietz, der etwas zusammengekauert mit hochrotem Gesicht dort saß. Wer den ehemaligen Vorstopper von 03 und Rotation Babelsberg kennt, der weiß, er ist kein Redner. Früher in seinen jungen Jahren war er stets der Mann, der das Zepter des Handelns in die Hand nahm. „Schupo“ Tietz ist heute alt. Geboren wurde er 1919 und seinen Garten hat er seit 1954, also seit über 50 Jahren (!), in der Sparte „Selbsthilfe 1917“. Und in der vergangenen Woche hörte er verbissen zu, wie die Jüngeren ihren Ärger kundtaten. Und Schupo Tietz stimmte unserem heutigen Protest zu – und er hatte Tränen in den Augen. Das, werte Abgeordnete, hat mich sehr bewegt. So weit die persönlichen Anmerkungen. Zum Schluss – sehr geehrte Frau Stadtpräsidentin, werte Abgeordnete – bitte ich Sie im Namen der 18.000 Kleingärtner des VGS Potsdam: Folgen Sie dem heutigen Beschlussentwurf zum Bebauungsplan Nr. 99 und machen Sie damit den Weg frei zur Änderung der Planungsziele. In die Nuthe-Niederung gehören Kleingärten und nicht bebautes Land! Und zweitens bitte ich Sie noch mal: Schauen Sie sich jedes weitere Vorhaben in Sachen Überplanung von Kleingartenland in unserer Stadt unter den von mir genannten Gesichtspunkten genau an! Denn Potsdam muss GRÜN bleiben! Ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit.

Doch es kam (wie wir heute wissen) anders ...

... aber zumindest war das Wetter auf unserer Seite